3.7.2.: Einstufungskriterien für Stoffe

3.7.2.1. Gefahrenkategorien
3.7.2.1.1 Um Stoffe bezüglich ihrer Reproduktionstoxizität einzustufen, werden sie einer von zwei Kategorien zugeordnet. In jeder Kategorie werden die Auswirkungen auf die Sexualfunktion und Fruchtbarkeit sowie auf die Entwicklung getrennt betrachtet. Zudem werden die Wirkungen auf/über die Laktation einer eigenen Gefahrenkategorie zugeordnet.


Tabelle 3.7.1 a)

Gefahrenkategorien für reproduktionstoxische Stoffe

Kategorien

Kriterien

KATEGORIE 1

Bekanntermaßen oder wahrscheinlich reproduktionstoxischer Stoff

Stoffe werden dann als reproduktionstoxisch der Kategorie 1 eingestuft, wenn sie beim Menschen bekanntermaßen die Sexualfunktion und Fruchtbarkeit oder die Entwicklung beeinträchtigen oder wenn Befunde aus Tierstudien, möglichst ergänzt durch weitere Informationen, vorliegen, die die deutliche Annahme erlauben, dass der Stoff die Fähigkeit hat, die menschliche Fortpflanzung beeinträchtigen zu können. Die Einstufung eines Stoffes wird weiter danach differenziert, ob die Einstufung überwiegend aufgrund von Befunden beim Menschen (Kategorie 1A) oder bei Tieren (Kategorie 1B) erfolgt.

Kategorie 1A

Bekanntermaßen reproduktionstoxischer Stoff

Die Einstufung eines Stoffes in die Kategorie 1A beruht weitgehend auf Befunden vom Menschen.

Kategorie 1B

Wahrscheinlich reproduktionstoxischer Stoff

Die Einstufung eines Stoffes in die Kategorie 1B beruht weitgehend auf Daten aus Tierstudien. Solche Daten müssen deutliche Nachweise für eine Beeinträchtigung der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit sowie der Entwicklung bei Fehlen anderer toxischer Wirkungen ergeben; falls sie zusammen mit anderen toxischen Wirkungen auftreten, darf die Beeinträchtigung der Fortpflanzung nicht als sekundäre unspezifische Folge anderer toxischer Wirkungen gelten. Liegen jedoch Informationen zum Wirkmechanismus vor, die die Relevanz der Wirkungen beim Menschen in Frage stellen, kann die Einstufung in Kategorie 2 geeigneter erscheinen.

KATEGORIE 2

Vermutlich reproduktionstoxischer Stoff

Stoffe werden dann als reproduktionstoxisch der Kategorie 2 eingestuft, wenn (eventuell durch weitere Informationen ergänzte) Befunde beim Menschen oder bei Versuchstieren vorliegen, die eine Beeinträchtigung der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit oder der Entwicklung nachweisen, diese Nachweise aber nicht stichhaltig genug für eine Einstufung des Stoffes in Kategorie 1 sind. Falls Mängel der Studie die Stichhaltigkeit der Nachweise mindern, könnte eine Einstufung in die Kategorie 2 geeigneter sein.

Solche Wirkungen müssen bei Fehlen anderer toxischer Wirkungen beobachtet worden sein; treten sie aber zusammen mit anderen toxischen Wirkungen auf, darf die Beeinträchtigung der Fortpflanzung nicht als sekundäre unspezifische Folge anderer toxischer Wirkungen gelten.


Tabelle 3.7.1 b)

Gefahrenkategorie für Wirkungen auf die Laktation

WIRKUNGEN AUF ODER ÜBER DIE LAKTATION

Wirkungen auf oder über die Laktation werden einer eigenen Gefahrenkategorie ohne weitere Unterteilung zugeordnet. Es ist unstrittig, dass es für viele Stoffe keine Informationen über ihr Potenzial zur Schädigung der Nachkommen über die Laktation gibt. Stoffe, die von Frauen aufgenommen werden und nachweislich auf die Laktation wirken oder die (einschließlich ihrer Stoffwechselprodukte) in solchen Mengen in der Muttermilch enthalten sein können, dass sie für die Gesundheit eines gestillten Kindes bedenklich sind, müssen eine Einstufung und Kennzeichnung erhalten, aus der diese für gestillte Säuglinge gefährliche Eigenschaft hervorgeht. Diese Einstufung kann auf folgender Grundlage erfolgen:

a)  Befunde beim Menschen, die auf eine Gefahr für Säuglinge während der Stillzeit hinweisen, und/oder

b)  Ergebnisse tierexperimenteller Studien über eine oder zwei Generationen, die deutliche Nachweise für eine Schädigung der Nachkommen infolge Aufnahme des Stoffes über die Muttermilch oder für eine Verschlechterung der Milchqualität ergeben, und/oder

c)  Absorptions-, Stoffwechsel-, Verteilungs- und Ausscheidungsstudien, die nahelegen, dass der Stoff in möglicherweise toxischen Mengen in der Muttermilch vorhanden ist.

3.7.2.2. Einstufungsgrundlage
3.7.2.2.1 Die Einstufung erfolgt auf der Grundlage der oben aufgeführten geeigneten Kriterien und einer Ermittlung der Beweiskraft der Daten (siehe Abschnitt 1.1.1). Die Einstufung als reproduktionstoxisch ist für Stoffe gedacht, die eine intrinsische spezifische Eigenschaft zur Beeinträchtigung der Fortpflanzung besitzen; sie ist jedoch nicht zulässig für Stoffe, bei denen diese Wirkung lediglich als unspezifische sekundäre Folge anderer toxischer Wirkungen auftritt.

Die Einstufung eines Stoffes richtet sich nach den Gefahrenkategorien in folgender Reihenfolge: Kategorie 1A, Kategorie 1B, Kategorie 2 und die Zusatzkategorie für Wirkungen auf/über Laktation. Wenn ein Stoff die Kriterien für eine Einstufung in beide der Hauptkategorien erfüllt (beispielsweise Kategorie 1B aufgrund der Auswirkungen auf die Sexualfunktion und die Fruchtbarkeit und Kategorie 2 aufgrund von Entwicklungsschäden), dann werden beide Gefahrendifferenzierungen in den jeweiligen Gefahrenhinweisen erwähnt. Die Einstufung in der Zusatzkategorie für Wirkungen auf/über Laktation wird unabhängig von der Einstufung in Kategorie 1A, Kategorie 1B oder Kategorie 2 berücksichtigt.

3.7.2.2.2 Bei der Bewertung der toxischen Wirkungen auf die Entwicklung der Nachkommen ist unbedingt der mögliche Einfluss der maternalen Toxizität zu beachten (siehe Abschnitt 3.7.2.4).
3.7.2.2.3 Damit Befunde beim Menschen als Hauptgrundlage für eine Einstufung in die Kategorie 1A dienen können, muss eine Beeinträchtigung der Fortpflanzung beim Menschen hinreichend belegt sein. Zur Einstufung herangezogene Nachweise stammen im Idealfall aus ordnungsgemäß durchgeführten epidemiologischen Studien, in denen die Verwendung geeigneter Kontrollen, eine ausgewogene Bewertung und eine gebührende Berücksichtigung systematischer Fehler und der Störfaktoren („bias“, „confounding“) gewährleistet waren. Weniger fundierte Daten aus Humanstudien sind durch geeignete Daten aus Studien an Versuchstieren zu ergänzen und eine Einstufung in Kategorie 1B ist zu erwägen.
3.7.2.3. Ermittlung der Beweiskraft der Daten
3.7.2.3.1 Die Einstufung als reproduktionstoxisch erfolgt auf der Grundlage einer Ermittlung der Beweiskraft sämtlicher Daten (siehe Abschnitt 1.1.1). Dies bedeutet, dass alle verfügbaren, für die Bestimmung der Reproduktionstoxizität relevanten Informationen zusammen betrachtet werden, wie beispielsweise epidemiologische Studien und Fallberichte, spezielle Reproduktionsstudien in Verbindung mit den Ergebnissen von Untersuchungen der subchronischen und chronischen Wirkung und spezieller Studien an Tieren, aus denen relevante Informationen über die Toxizität für die Fortpflanzungsorgane und damit zusammenhängende endokrine Organe gewonnen werden. Dazu kann auch die Beurteilung von Stoffen gehören, die mit dem untersuchten Stoff chemisch verwandt sind, insbesondere wenn die Informationslage zu diesem Stoff dürftig ist. Die Gewichtung der verfügbaren Nachweise wird von Faktoren beeinflusst wie der Qualität der Studien, der Stimmigkeit ihrer Ergebnisse, der Art und Stärke der Wirkungen, dem Nachweis von maternaler Toxizität in tierexperimentellen Studien, der statistischen Signifikanz von Unterschieden in den Wirkungen zwischen den Gruppen, der Zahl der betroffenen Endpunkte, der Relevanz des Verabreichungswegs beim Menschen und der Vermeidung von systematischen Fehlern. Sowohl positive als auch negative Befunde werden bei der Ermittlung der Beweiskraft der Daten zusammengetragen. Eine einzige positiv ausgefallene Studie, die nach soliden wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführt wurde und statistisch oder biologisch signifikant positive Befunde erbrachte, kann eine Einstufung begründen (siehe auch Abschnitt 3.7.2.2.3).
3.7.2.3.2 Toxikokinetische Studien an Tieren und Menschen, die Ergebnisse von Studien über Wirkort und Wirkungsmechanismus/-weise können den Grad der Besorgnis auf eine reproduktionstoxisiche Wirkung beim Menschen verstärken oder abschwächen. Lässt sich schlüssig nachweisen, dass der/die eindeutig festgestellte Wirkungsmechanismus/-weise für den Menschen nicht relevant ist, oder sind die toxikokinetischen Unterschiede so ausgeprägt, dass die Gefahreneigenschaft mit Sicherheit nicht beim Menschen zum Tragen kommt, dann sollte ein Stoff, der die Fortpflanzung bei Versuchstieren beeinträchtigt, nicht eingestuft werden.
3.7.2.3.3 Falls bei manchen Studien zur Reproduktionstoxizität an Versuchstieren lediglich Wirkungen festgestellt werden, deren toxikologische Bedeutung für gering oder minimal gehalten wird, kann eine Einstufung auch unterbleiben. Zu solchen Wirkungen gehören beispielsweise geringfügige Veränderungen bei Spermienparametern oder der Inzidenz von Spontandefekten beim Fötus, geringfügige Veränderungen des Anteils gewöhnlicher Fötusvariationen, wie sie bei Skelettuntersuchungen beobachtet werden, oder der Fötengewichte oder geringfügige Unterschiede bei der Beurteilung der postnatalen Entwicklung.
3.7.2.3.4 Im Idealfall ist der eindeutige Nachweis einer spezifischen Reproduktionstoxizität mit Daten aus Tierstudien zu erbringen, falls keine anderen systemischen toxischen Wirkungen auftreten. Tritt die Entwicklungstoxizität jedoch zusammen mit anderen toxischen Wirkungen am Muttertier auf, ist der potenzielle Einfluss der allgemeinen schädlichen Wirkungen so umfassend wie möglich zu beurteilen. Dabei sollte man bei der Ermittlung der Beweiskraft der Daten vorzugsweise zunächst die schädlichen Wirkungen auf den Embryo/Fötus betrachten und dann gemeinsam mit allen anderen Faktoren, die Einfluss auf diese Wirkungen haben, die maternale Toxizität bewerten. Generell dürfen Entwicklungsstörungen, die bei maternal toxischen Dosen beobachtet werden, nicht automatisch unberücksichtigt bleiben. Darüber ist von Fall zu Fall zu entscheiden, je nachdem ob ein ursächlicher Zusammenhang nachzuweisen ist oder widerlegt wird.
3.7.2.3.5 Sind geeignete Informationen verfügbar, ist es wichtig festzustellen, ob die Entwicklungstoxizität durch einen spezifischen maternal vermittelten Mechanismus oder durch einen unspezifischen sekundären Mechanismus wie Stress des Muttertiers und Störung der Homöostase bedingt ist. Generell ist es nicht zulässig, festgestellte Wirkungen am Embryo/Fötus aufgrund einer beobachteten maternalen Toxizität unberücksichtigt zu lassen, außer wenn sich eindeutig zeigen lässt, dass es sich dabei um unspezifische sekundäre Wirkungen handelt. Dies ist vor allem dann nicht zulässig, wenn die Wirkungen auf die Nachkommen relevant sind, zum Beispiel bei irreversiblen Wirkungen wie Missbildungen. In manchen Situationen kann man davon ausgehen, dass die Reproduktionstoxizität eine sekundäre Folge der maternalen Toxizität darstellt, und diese Wirkungen unberücksichtigt lassen, wenn der Stoff so toxisch ist, dass das Wohlergehen der Muttertiere leidet und es zu schwerer Entkräftung kommt, sie ihren Wurf nicht stillen können, dem Zustand höchster Erschöpfung unterliegen oder sterben.
3.7.2.4. Maternale Toxizität
3.7.2.4.1 Die Entwicklung der Nachkommen während der Trächtigkeit und im Laufe der frühen postnatalen Stadien kann durch toxische Wirkungen bei den Muttertieren entweder über unspezifische stressbedingte Mechanismen und eine Störung der Homöostase bei den Muttertieren oder über spezifische maternal vermittelte Mechanismen beeinflusst werden. Bei der Interpretation der Befunde im Hinblick auf die Entscheidung über eine Einstufung ist es wichtig, den möglichen Einfluss der maternalen Toxizität zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Fragestellung, da Unklarheiten über den Zusammenhang zwischen der maternalen Toxizität und der Entwicklungstoxizität bestehen. Alle verfügbaren Studien sind einer Beurteilung durch Experten und einer Ermittlung der Beweiskraft der Daten zu unterziehen, um zu bestimmen, welchen Einfluss die maternale Toxizität auf die Einstufung entwicklungsschädigender Wirkungen hatte. Zunächst sind die schädlichen Wirkungen auf den Embryo/Foetus und dann die maternale Toxizität sowie alle anderen Faktoren, die einen Einfluss auf diese Wirkungen gehabt haben können, zu beurteilen, um zu einer Entscheidung über die Einstufung zu gelangen.
3.7.2.4.2 Aufgrund pragmatischer Beobachtungen kann die maternale Toxizität — je nach ihrer Schwere — über unspezifische sekundäre Mechanismen die Entwicklung beeinflussen und beispielsweise vermindertes Fötusgewicht, verzögerte Knochenbildung und möglicherweise Resorptionen sowie bestimmte Missbildungen in einigen Stämmen mancher Tierarten hervorrufen. In den wenigen Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Entwicklungsstörungen und allgemeiner maternaler Toxizität untersucht wurde, konnte jedoch kein genereller schlüssiger reproduzierbarer Zusammenhang nachgewiesen werden. Entwicklungsschäden gelten, selbst wenn sie bei Vorliegen einer maternalen Toxizität auftreten, als Nachweis für die Entwicklungstoxizität, es sei denn, es kann im den Einzelfall eindeutig nachgewiesen werden, dass die Entwicklungsschäden eine sekundäre Folge der maternalen Toxizität sind. Zudem ist eine Einstufung zu erwägen, wenn sich bei den Nachkommen eine relevante toxische Wirkung (z. B. irreversible Folgen wie strukturelle Missbildungen, embryonale/fötale Letalität, relevante postnatale funktionelle Defekte) zeigt.
3.7.2.4.3 Bei Stoffen, die nur bei maternaler Toxizität zu Entwicklungsschäden führen, ist nicht automatisch von einer Einstufung abzusehen, selbst wenn ein spezifischer, maternal vermittelter Mechanismus nachgewiesen ist. In diesem Fall kann eine Einstufung in Kategorie 2 geeigneter erscheinen als in Kategorie 1. Ist ein Stoff allerdings so toxisch, dass er den Tod oder eine schwere Entkräftung der Muttertiere zur Folge hat oder dass sie dem Zustand höchster Erschöpfung unterliegen oder nicht mehr in der Lage sind, ihren Wurf zu stillen, ist mit gutem Grund anzunehmen, dass die Entwicklungstoxizität lediglich eine sekundäre Folge der maternalen Toxizität ist, und die Entwicklungsschäden können in Bezug auf ihre Relevanz abgewertet werden. Geringfügige Veränderungen in der Entwicklung, bei nur schwacher Abnahme des Körpergewichts beim Fötus/Jungtier oder nur wenig verzögerter Knochenbildung, führen nicht unbedingt zu einer Einstufung, wenn sie in Verbindung mit maternaler Toxizität auftreten.
3.7.2.4.4 Nachstehend sind einige der Endpunkte aufgeführt, die zur Bewertung der maternalen Effekte herangezogen werden. Etwaige verfügbare Daten zu diesen Endpunkten müssen im Hinblick auf ihre statistische oder biologische Signifikanz und die Dosis-Wirkungs-Beziehung bewertet werden.

Maternale Mortalität:

Eine erhöhte Sterblichkeit bei den behandelten Muttertieren gegenüber der Kontrollgruppe gilt als Nachweis für maternale Toxizität, wenn diese Zunahme in Abhängigkeit von der Dosis auftritt und auf die systemische Toxizität des Prüfstoffes zurückgeführt werden kann. Eine maternale Mortalität von mehr als 10 % gilt als überhöht und die Daten für diese Dosisgruppe sind in der Regel nicht für eine weitere Bewertung in Betracht zu ziehen.

Paarungsindex

(Anzahl der Tiere mit Vaginalpfropf oder Spermien/Anzahl der verpaarten Tiere x 100) ( 13 )

Fertilitätssindex

(Anzahl der Tiere mit Implantationen/Anzahl der Paarungen x 100)

Dauer der Trächtigkeit

(falls der Wurf ausgetragen werden kann)

Körpergewicht/Veränderung des Körpergewichts:

Die Betrachtung der Veränderung des Körpergewichts und/oder des angepassten (korrigierten) Körpergewichts des Muttertiers ist in die Bewertung der maternalen Toxizität einzubeziehen, sofern entsprechende Daten verfügbar sind. Die Berechnung der angepassten (korrigierten) mittleren Körpergewichtsveränderung des Muttertiers, die der Differenz zwischen dem Anfangs- und Endgewicht abzüglich des Gebärmuttergewichts bei Trächtigkeit (oder alternativ dazu der Summe der Fötengewichte) entspricht, kann anzeigen, ob es sich um eine maternale oder intrauterine Wirkung handelt. Beim Kaninchen ist der Körpergewichtszuwachs unter Umständen kein zuverlässiger Indikator für die maternale Toxizität, weil Körpergewichtsschwankungen während der Trächtigkeit üblich sind.

Futter- und Wasserverbrauch (sofern relevant): Die Beobachtung eines signifikanten Rückgangs des durchschnittlichen Futter- oder Wasserverbrauchs bei behandelten Muttertieren gegenüber der Kontrollgruppe ist bei der Bewertung der maternalen Toxizität nützlich, vor allem wenn der Prüfstoff über das Futter oder das Trinkwasser verabreicht wird. Veränderungen beim Futter- oder Wasserverbrauch müssen in Verbindung mit dem Körpergewicht des Muttertiers bewertet werden, wenn ermittelt werden soll, ob maternale Toxizität der Grund für die beobachteten Wirkungen ist oder ganz einfach eine geschmackliche Veränderung von Futter oder Wasser durch den Prüfstoff.

Klinische Bewertungen (einschließlich klinischer Anzeichen, Marker, Studien zur Hämatologie oder klinischen Chemie): Auch die Beobachtung einer erhöhten Häufigkeit von signifikanten klinischen Anzeichen von Toxizität bei behandelten Muttertieren gegenüber der Kontrollgruppe ist bei der Bewertung der maternalen Toxizität hilfreich. Soll dies als Grundlage für die Beurteilung der maternalen Toxizität dienen, sind die Art, die Häufigkeit, Schwere und Dauer der klinischen Anzeichen in der Studie festzuhalten. Zu den klinischen Anzeichen einer Intoxikation der Muttertiere gehören: Koma, Erschöpfung, Hyperaktivität, Verlust des Gleichgewichtsreflexes, Ataxie oder Atemnot.

Post-mortem-Daten: Ist aus post mortem gewonnenen Befunden eine erhöhte Häufigkeit und/oder Schwere adverser Wirkungen festzustellen, kann dies auf maternale Toxizität hindeuten. Dazu können makroskopische oder mikroskopische pathologische Befunde oder Organgewichtsdaten einschließlich des absoluten Organgewichts, des Gewichtsverhältnisses Organ/Körper oder Organ/Hirn gehören. Die Beobachtung einer signifikanten Veränderung des Durchschnittsgewichts vermuteter Zielorgane von behandelten Muttertieren gegenüber der Kontrollgruppe kann als Nachweis für maternale Toxizität gewertet werden, wenn dies durch histopathologische Befunde an den betroffenen Organen gestützt wird.

3.7.2.5. Tierversuchs- und Prüfdaten
3.7.2.5.1 Es sind eine ganze Reihe international akzeptierter Versuchsmethoden verfügbar; sie umfassen Methoden für die Prüfung auf Entwicklungstoxizität (z. B. OECD-Prüfungsleitlinie 414) sowie Methoden für toxikologische Untersuchungen über eine oder zwei Generationen (z. B. OECD-Leitlinien 415 und 416).
3.7.2.5.2 Auch die Ergebnisse von Screeningtests (z. B. OECD-Leitlinien 421 — Screeningtest zur Prüfung der Reproduktions-/Entwicklungstoxizität und 422 — Toxizitätsstudie mit kombinierter oraler Verabreichung mit Screeningtest zur Prüfung der Reproduktions-/Entwicklungstoxizität) können zur Begründung einer Einstufung dienen, obwohl unstrittig ist, dass diese Nachweise weniger zuverlässig sind als durch umfassende Studien gewonnene Nachweise.
3.7.2.5.3 In kurz- oder langfristigen Toxizitätsstudien mit wiederholter Verabreichung festgestellte schädliche Wirkungen oder Veränderungen, die die Fortpflanzungsfunktion wahrscheinlich beeinträchtigen und die trotz Fehlens einer relevanten allgemeinen Toxizität auftreten, können als Einstufungsgrundlage dienen (so zum Beispiel histopathologische Veränderungen an den Gonaden).
3.7.2.5.4 Nachweise, die aus In-vitro-Assays oder Versuchen an anderen Tieren als Säugern und mit Hilfe der Struktur-Wirkungs-Beziehung (SAR) aus analogen Stoffen gewonnen wurden, können zur Einstufung beitragen. In allen derartigen Fällen sind die Daten von Experten im Hinblick auf ihre Aussagekraft zu beurteilen. Ungeeignete Daten dürfen keinesfalls als gewichtiges Argument für eine Einstufung dienen.
3.7.2.5.5 Bei Tierstudien sind vorzugsweise geeignete Verabreichungswege zu wählen, die sich an dem beim Menschen möglichen Expositionsweg orientieren. In der Praxis werden Studien zur Reproduktionstoxizität jedoch üblicherweise mit oraler Verabreichung durchgeführt; solche Studien eignen sich in der Regel durchaus für die Bewertung der Gefahreneigenschaften eines Stoffes in Bezug auf die Reproduktionstoxizität. Lässt sich jedoch schlüssig nachweisen, dass der/die eindeutig festgestellte Wirkungsmechanismus/-weise für den Menschen nicht relevant ist, oder wenn die toxikokinetischen Unterschiede so ausgeprägt sind, dass die Gefahreneigenschaft mit Sicherheit nicht beim Menschen zum Tragen kommt, dann braucht ein Stoff, der die Fortpflanzung bei Versuchstieren beeinträchtigt, nicht eingestuft zu werden.
3.7.2.5.6 Studien mit Verabreichungswegen wie intravenöse oder intraperitoneale Injektion, die dazu führen, dass die Fortpflanzungsorgane unrealistisch hohen Dosen des Prüfstoffes ausgesetzt werden, oder die auch in Form von Reizung lokale Schäden an den Fortpflanzungsorganen verursachen können, sind mit äußerster Vorsicht zu interpretieren und stellen in der Regel keine alleinige Grundlage für die Einstufung dar.
3.7.2.5.7 Es herrscht allgemein Einigkeit über den Begriff der Grenzdosis, oberhalb deren die Erzeugung einer schädlichen Wirkung nicht mehr als zur Einstufung führendes Kriterium betrachtet wird, nicht jedoch über die Höhe einer konkreten Dosis als Grenzdosis in die Kriterien. In manchen Leitlinien für Prüfverfahren ist aber eine Grenzdosis angegeben, in anderen wiederum ist die Grenzdosis mit dem Hinweis versehen, dass höhere Dosen erforderlich sein können, wenn die vorhergesagte Exposition beim Menschen so hoch ist, dass ein angemessener Abstand zur Expositionshöhe nicht erreicht wird. Auch kann sich die Festlegung einer bestimmten Grenzdosis aufgrund toxikokinetischer Unterschiede zwischen den Arten in jenen Fällen als ungeeignet erweisen, in denen Menschen empfindlicher sind als das Tiermodell.
3.7.2.5.8 Grundsätzlich führen Beeinträchtigungen der Fortpflanzung, die nur bei sehr hohen Dosierungen in Tierversuchen auftreten (beispielsweise bei Dosierungen, die zum Zustand höchster Erschöpfung, starker Appetitlosigkeit, erhöhter Mortalität führen), normalerweise nicht zur Einstufung, sofern nicht andere Informationen verfügbar sind, wie etwa toxikokinetische Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Menschen empfindlicher als Tiere reagieren, so dass eine Einstufung angebracht erscheint. Weitere Anleitungen für diesen Bereich finden sich im Abschnitt über maternale Toxizität (3.7.2.4).
3.7.2.5.9 Die Festlegung der tatsächlichen „Grenzdosis“ wird jedoch davon abhängen, mit welchem Prüfverfahren die Prüfergebnisse erzielt wurden, z. B. wird in der OECD-Prüfungsleitlinie für Toxizitätsstudien mit wiederholter oraler Verabreichung ein oberer Dosisgrenzwert von 1000 mg/kg empfohlen, sofern die erwartete Reaktion beim Menschen nicht eine höhere Dosierung erfordert.