1.1.1.: Aufgabe und Anwendung der Beurteilung durch Experten und der Ermittlung der Beweiskraft

1.1.1.1. Lassen sich die Einstufungskriterien nicht unmittelbar auf die verfügbaren ermittelten Informationen anwenden oder sind nur die Informationen gemäß Artikel 6 Absatz 5 verfügbar, so ist gemäß Artikel 9 Absatz 3 bzw. Absatz 4 die Beweiskraft der Daten mit Hilfe der Beurteilung durch Experten zu ermitteln.
1.1.1.2. Bei der Einstufung von Gemischen kann eine Beurteilung durch Experten in mehreren Bereichen herangezogen werden, damit gewährleistet ist, dass bestehende Informationen für möglichst viele Gemische im Hinblick auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt verwendet werden können. Eine Beurteilung durch Experten kann auch bei der Auslegung von Daten für die Gefahreneinstufung von Stoffen erforderlich sein, insbesondere wenn eine Ermittlung der Beweiskraft erforderlich ist.
1.1.1.3. Die Ermittlung der Beweiskraft bedeutet, dass alle verfügbaren Informationen, die für die Gefahrenbestimmung relevant sind, im Zusammenhang betrachtet werden, beispielsweise die Ergebnisse von geeigneten In-vitro-Tests, einschlägige Tierversuchsdaten, Informationen aus der Anwendung des Kategorienkonzepts (Gruppierung, Übertragung), Ergebnisse von (Q)SAR-Verfahren und Erfahrungen beim Menschen wie Daten über berufsbedingte Exposition, Daten aus Unfalldatenbanken, epidemiologische und klinische Studien sowie gut dokumentierte Fallberichte und Beobachtungen. Die Qualität und Schlüssigkeit der Daten erhält eine angemessene Gewichtung. Informationen über Stoffe oder Gemische, die mit dem einzustufenden Stoff oder Gemisch verwandt sind, sind in der Regel ebenso als geeignet zu betrachten wie Studienergebnisse über den Wirkungsort, den Wirkungsmechanismus oder die Wirkungsweise. Sowohl positive als auch negative Befunde sind in einer Ermittlung der Beweiskraft zusammen zu berücksichtigen.
1.1.1.4. Bei der Einstufung nach Gesundheitsgefahren (Teil 3) begründen nachgewiesene gefährliche Wirkungen, die in angemessenen tierexperimentellen Studien oder anhand von Erfahrungen beim Menschen festgestellt wurden und die mit den Einstufungskriterien übereinstimmen, in der Regel eine Einstufung. Falls Nachweise sowohl vom Menschen als auch vom Tier vorliegen und sich die Ergebnisse widersprechen, sind die Nachweise aus beiden Quellen zur Entscheidung der Einstufungsfrage auf ihre Qualität und Verlässlichkeit zu prüfen. In der Regel haben geeignete, verlässliche und repräsentative Daten vom Menschen (einschließlich epidemiologischer Untersuchungen, wissenschaftlich valider Fallstudien gemäß diesem Anhang oder statistisch gestützter Erfahrungen) Vorrang vor anderen Daten. Epidemiologische Studien weisen jedoch auch bei guter Konzeption und Durchführung unter Umständen nicht genug Probanden auf, um zwar relativ seltene, doch relevante Wirkungen aufzeigen oder potenzielle Störfaktoren („confounding“) verzerrende Faktoren bewerten zu können. Daher werden positive Befunde aus ordnungsgemäß durchgeführten Studien am Tier nicht unbedingt durch das Fehlen positiver Erfahrungen beim Menschen widerlegt, aber sie erfordern, dass die Daten vom Menschen und vom Tier auf ihre Zuverlässigkeit, Qualität und statistische Aussagekraft geprüft werden.
1.1.1.5 Bei der Einstufung nach Gesundheitsgefahren (Teil 3) sind der Expositionsweg, mechanistische Daten und Stoffwechselstudien für die Bestimmung der Relevanz einer Wirkung beim Menschen von Belang. Lassen solche Informationen die Relevanz für den Menschen zweifelhaft erscheinen, kann eine schwächere Einstufung begründet sein, sofern sich die Zuverlässigkeit und Qualität der Daten bestätigen. Liegen wissenschaftliche Nachweise dafür vor, dass der Wirkungsmechanismus oder die Wirkungsweise nicht für Menschen relevant ist, sollte der Stoff oder das Gemisch nicht eingestuft werden.